BILD OHNE BILD
Ulrich Loock
Die Malerei: ein Format...eine Gegebenheit, ein Rahmen, eine Geschichte, ein definiertes Feld der Möglichkeiten. Die Malerei ist nicht mehr zu erfinden. Sie ist bei WH Sache der Theorie, Theorie verstanden nahe beim ursprünglichen Wortsinn, nämlich als Anschauung, welche ihren Gegenstand ausschneidet aus der Ausbreitung der Welt ("Die Welt ist alles, was der Fall ist"), welche ihren Gegenstand vor sich bringt, ihn sich, aus der Distanz betrachtet, als Gegenstand vornimmt. Diese Theorie ist Sache der Malerei. Malerei bleibt eine Praxis der Anschauung, doch ist sie nicht mehr Anschauung der äusseren oder inneren Dinge, denen sie sich während ihrer ganzen Geschichte zugewendet hat, in die sie sich verwickelt und deren Bilder sie entworfen hat, sondern Anschauung ihrer eigenen Wirklichkeit, eine Anschauung zweiten Grades. Diese "eigene Wirklichkeit" der Malerei ist nicht zu verwechseln mit der Realität einer Malerei, die als Wirkliches unter anderem Wirklichen aufzutreten beansprucht. WHs Malerei nimmt nicht jenen Paradigmawechsel (vom Imaginären zum Realen) vor, mit dem gewisse Malerei im 20. Jahrhundert sich ein neues Feld der Praxis zu erschliessen gesucht hat. Ihr Paradigma bleibt das Bild (das Bild von etwas, das Bild, in dem sich etwas anderes, inneres oder äusseres, niederschlägt), doch schliesst die Theorie aus, wovon das Bild ein Bild ist. Sie produziert einen Mangel, der zu unterscheiden ist von jener Absenz des Dargestellten, die unter dem Namen des Illusionismus das Bild in Misskredit gebracht hat. Die Theorie ist Sache eines Blickes, der sich auf alles richtet, was etwas zu sehen gibt. Zur Anschauung kommt, was bleibt, wenn nicht zu sehen ist, was zu zeigen einmal Möglichkeit und Aufgabe der Malerei war. Zur Anschauung kommen Mittel und Methode. Die Theorie resultiert in einer Umkehrung malerischer Potentialität. Nichts ist mehr möglich, was die Darstellung betrifft. Die Theorie, wohlgemerkt malerische, in Form der Malerei vorgebrachte Theorie, macht die Malerei zu einem puren Medium. Dieser theoretische Schnitt ist der Einsatz von WHs Malerei. Sie schafft kein Bild im jahrhundertelang gültigen Sinn, sie schafft aber auch nichts, was kein Bild wäre: Bild ohne Bild. Es ist bewegend zu sehen, wie diese Aporie durch gelegentliche Schatten oder Nachbilder der ausgeschlossenen Gegenständlichkeit nur bestätigt und unterstrichen wird...
Ausdrücklich handelt es sich also nicht um abstrakte (oder konkrete) Malerei im Sinne von Konstruktionen, die Farb- und Formelemente zu Analogien der Welt zusammenfügen. Pinselzüge in unterschiedlichen Konstellationen (Gitter, geknickte Linien, Knäuel, geometrische Formen), unterschiedlichem Duktus, unterschiedlicher Materialität und Farbigkeit, einzelne Farb/Formkomplexe sind aus jeder Bindung an bildliche Darstellung gelöst, sei sie nun "gegenständlich" oder "abstrakt" (flottierende Signifikanten). Der Theorie werden Bildeinheiten und malerische Vorgehensweisen zu Elementen eines Inventars, idealerweise eines Inventars, das alle Möglichkeiten der malerischen Praxis umfasst. Dauernd finden praktische Erweiterungen des Inventars statt. Von Bild zu Bild ruft WH Elemente des Inventars auf und bereichert es damit. Jedes Bild ist eine Aktualisierung des Inventars, dessen Elemente sich von Bild zu Bild wiederholen und dabei abgeändert werden. Hier kommt es zu malerischen Erfindungen, hier hat die Lust des Malers statt. Das Bildformat repräsentiert die Grenzen des Inventars. Gewöhnlich ist die gesamte Fläche monochrom eingefärbt, manchmal wird die Vorgehensweise des Farbauftrags eigens sichtbar. Die Bildfläche funktioniert wie ein Projektionsschirm - das ist nicht Lautrèamonts Seziertisch, da die einzelnen Elemente nicht jene Qualität gegenständlicher Eigenständigkeit haben, die sie einander fremd machen könnte: Sie gleichen einander, so unterschiedlich sie auch erscheinen mögen. Auf der neutralen Bildfläche verteilt sind sie gemäss Empfindungen ästhetischer Stimmigkeit. Die Bilder opponieren der Komposition im starken Sinne einer metaphorischen Konstruktion, es sind keine notwendigen Einheiten, sie bleiben immer bestimmt durch die Kontingenz, die das Inventar charakterisiert. Das Ganze ist die Summe seiner Teile.
Grundsätzlich gehorchen WHs Bilder einer Logik der Aufzählung, und wenn sie diese Logik nicht in der zu erwartenden Form etwa einer seriellen Reihung übersetzen, so ist das konsistent mit der Vermeidung eines Paradigmawechsels. WHs Malereien werden als Bilder ohne Bilder realisiert, indem sie mit der differenzierten Verteilung von Bildelementen auf einer gegebenen Fläche aus der malerischen Komposition eine ästhetische Konvention machen. Unter der Bedingung theoretischer Objektivierung persistiert, was in einer jahrhundertealten Geschichte als Malerei herausgebildet wurde, als deren Simulation. Der Autor macht sich selbst zum Arrangeur, zum Verwalter geschichtlicher Möglichkeiten der Malerei. Was hier geschieht, ist eine Formulierung des "Endes der Malerei", die nur insofern nicht zu Ende ist, als sie ihr eigenes Ende ins Werk setzt. Es ist eindrucksvoll zu sehen, mit welcher Konsequenz und Präzision WH sich aufhält in dieser Problemzone der Kunst.
DURCHSCHEINEND
Stephan Berg
In einem Interview mit Doris Krystof Anfang 2001 macht Wolfgang Hambrecht eine Bemerkung, die mir ins Zentrum seines ungewöhnlichen malerischen Schaffens zu führen scheint. Gefragt nach seiner malerischen Entwicklung verweist er zunächst auf die verschiedenen systematisierenden Anläufe, die er im Lauf der Jahre gemacht habe, um dann auszuführen: „Dabei hat allerdings immer wieder meine Praxis die Theorie widerlegt. Die Malerei habe ich immer wieder aufgebrochen und es kam zu einem Spiel der Formen, die ich teilweise bereits benutzt hatte und welche wieder etwas Neues ergaben“. So etwas kann nur einer sagen, der - gespeist durch ein profundes Wissen über die jüngere Malereigeschichte - die Gefahren einer vollkommen durchprogrammierten Malerei kennt, und daraus ein begründetes Misstrauen gegenüber Bildern entwickelt hat, die nur Gewusstes enthalten, sozusagen nur gemalte Theorie sind. Wolfgang Hambrecht dagegen geht es immer um ein malerisches Abenteuer, um Balanceakte. Sein Ziel ist es, das Bild soweit zu öffnen, dass es instabil, und in einem grundsätzlichen Sinn durchscheinend und durchlässig wird. Zum einen im Hinblick auf sich selbst, auf die eigene malerische Praxis, zum anderen aber auch im Hinblick auf das in dieser Malerei Gezeigte, das sich eigentlich immer nur so weit konkretisieren soll und darf, dass es zugleich auch seine eigene Hinterfragung beinhaltet. Dieser Balanceakt infiziert von vornherein jede malerische Aktion auf der Leinwand und führt zu Pinselbewegungen, die für sich genommen stets den Anspruch haben, sowohl Selbstausdruck, im Sinne autonomer reiner Malerei zu sein, wie auch Annäherungen an die Gegenstände und narrativen Displays, die auf diesen Bildern erscheinen. Es geht um die Suche nach malerischen Zeichen, die sich selbst bedeuten, und dabei doch auch immer auf etwas außerhalb ihrer selbst verweisen.
Das gilt in gewisser Weise bereits für das abstrakte malerische Werk Hambrechts, das zwischen 1989 und 2003 entstanden ist. Die malerischen Elemente, die der Künstler hier auf vorwiegend monochromen Grund platziert, haben selbst eine eigentümliche Doppellogik zwischen nicht ganz vollzogener Signifikanz und ebenfalls nicht vollständiger Indifferenz. In ihrer Zeichenhaftigkeit deuten sie eine Dechiffrierbarkeit an, die sie andererseits gar nicht einlösen wollen. Eine ähnliche Ambivalenz lässt sich in der gesamtkompositorischen Anlage beobachten. Die bildnerischen Situationen, die der Künstler mit seinen zwittrigen, malerischen Akteuren herstellt, argumentieren gerade nicht mit einer finalen Festigkeit und Endgültigkeit, sondern suchen bewusst eine Offenheit, die sie bisweilen an den Rand des Auseinanderfallens bringt. Die Bildspannung entsteht dabei genau daraus: Dass das Bild sich selbst als einen Kipp-Punkt zwischen nicht mehr möglicher endgültiger Fixierung und noch nicht stattfindender Auflösung situiert.
Wenn man vor diesem Hintergrund sagen würde, dass Hambrecht früher ein abstrakter Maler gewesen ist, der heute zur Gegenständlichkeit (mit der er übrigens in seiner Akademiezeit Mitte der 80er Jahre begonnen hatte) zurückgefunden hat, dann wäre das genau so falsch, wie wenn man behaupten würde, die gegenständlichen Motive, die er heute malt, seien eigentlich als Motive bedeutungslos, weil es ihm im Kern eigentlich immer nur um Abstraktion gehen würde. Es ist, wie immer bei Kunst, komplizierter, und zugleich einfacher. Hambrecht, der in Karlsruhe bei Per Kirkeby und in Düsseldorf bei Dieter Krieg studiert hat, ist ein Wanderer zwischen den Welten. In seinen Bildern entdeckt man in Spurenelementen die tektonische, geologische Abstraktion Kirkebys, aber auch die Liebe zum suggestiven Motiv, die Dieter Krieg und seine energetische Malerei kennzeichnet. Daraus ergeben sich malerische Konstellationen, in denen sich immer wieder die Gewichte verschieben können, die Bilder aber in jedem Fall darauf beharren, keine in sich geschlossene Eindeutigkeit herzustellen.
Kontingenz ist insofern ein wichtiges Stichwort für dieses Werk. Dass alles immer auch anders und etwas anderes sein, als das, was es gerade ist, dass jede Konstellation in sich vielfältige Verwandlungsmöglichkeiten birgt, ist der DNA dieser Malerei fest eingeschrieben. Etwas Liquides zeichnet diese Malerei aus, eine Verflüssigung, die aber nichts Vages, Unentschlossenes hat, sondern programmatisch eine Haltung zum Bild und zur Welt dokumentiert, die auf ein strukturelles Da-Zwischen zielt. Das betrifft nicht nur die Motive, sondern auch die Maltechnik Hambrechts, die aus einer elaborierten Kombination von zeichnerischen Elementen, dünnflüssiger Acryl- und punktueller Ölmalerei einen diaphanen, fast schwebenden Eindruck aufbaut. Dies sind keine Bilder in schweren Rüstungen, die ihre eigene Unverrückbarkeit betonen, sondern eher federleichte, durchaus auch atmosphärische Luftgeschöpfe. Souverän in der Behandlung der malerischen Mittel lassen sie zugleich das Prekäre, Fragile ihrer Existenz (und zugleich der des Dargestellten) durchscheinen. „Auf freiem Feld“ hat der Künstler seine kleine Publikation genannt, die anlässlich seiner Ausstellung im Stadtmuseum Beckum 2014 entstand. Dieser Titel könnte auch über dem gesamten Werk des Künstlers stehen, das seine Freiheit daraus gewinnt, dass es sich dem Freien und damit notwendiger Weise immer auch Gefährdeten aussetzt, ohne ein festes Fundament einziehen zu können oder zu wollen.
Vielleicht spielen ja auch deswegen Häuser oder allgemeiner Behausungen so eine große Rolle in dieser Malerei, weil der Schutz und die Sicherheit, die sie zu versprechen scheinen, genau die notwendige Fallhöhe formuliert, von der aus der Künstler seine subtilen Destabilisierungen vornimmt. Das Haus ist bei Hambrecht stets eine gefährdete und potenziell auch gefährliche Angelegenheit. Wohnwagen ( The Arsonist, 2012), schwimmende Häuser (Das Hausboot 2010, Floating Islands, 2009), eine Lagerhalle (The Institute of Porous Media, 2007 ), Waldhütten (Haus des Anarchisten, 2010), oder die zusammenbrechende Ruine eines denkmalgeschützten Hauses in Detroit (Adam and Eve, 2013) sind zentrale Schauplätze für Hambrechts fließende, mit Lücken, Unterbrechungen, Abklebungen und Reduktionen arbeitende Acryl- und Öl-Malerei, die stets auf der Basis von Fotos - selbstgemachten oder gefundenen - entsteht. Das Provisorische der Behausungen findet seine Verstärkung in einem Malduktus, der alles nur so weit ausführt, wie es nötig ist, Genauigkeit aus Unschärfe herstellt, und jeglicher Stabilität durch flüchtig wirkende, in Wahrheit aber sehr präzise Verwischungen den Boden entzieht.
o.T (2014) ist ein weiteres eindrucksvolles Beispiel in dieser Reihe. Aus einem dschungelartig wuchernden Hintergrund schält sich eine aus ein paar Ästen gebildete, nach zwei Seiten hin offene rudimentäre Rundhütte, in deren fast nicht vorhandenem Inneren sich unter anderem eine Matratze mit grünem, ornamentalem Blattmuster befindet. Auf einem im Vordergrund noch leise glimmenden Feuer steht ein Topf mit Deckel neben einem weiteren, mit weiß leuchtendem Reis gefüllten Gefäß. Alles auf diesem Bild ist gewissermaßen doppelt kodiert: Das Lagerfeuer, die provisorische Hütte und die Matratze signalisieren eine bedrohte, aber im Augenblick doch auch irgendwie tröstliche Heimeligkeit und Geborgenheit. Der im Hintergrund grünschwarz verschwimmende Dschungel mit den fahlen Vertikalen der Bäume scheint das prekäre Nest in seine Tiefen einzusaugen, und bildet doch auch einen schützenden Wall um das offene Lager. Es geht Wolfgang Hambrecht um solche Momente, in denen eine magische Balance aus Unsicherheit und Geborgenheit entsteht, eine Ambivalenz, die in keine Richtung hin auflösbar ist. Als wichtiger Kunstgriff erweist sich dabei die Entscheidung, die Hütte und den vorgelagerten Kochplatz so direkt in der Bildmitte zu platzieren, dass er einerseits eindeutig das zentrale Motiv der Komposition wird, und sich zugleich in seiner ephemeren Erscheinung beinahe in die Umgebung auflöst und in ihr verschwindet.
Diese Vorliebe für Orte, die sich im Moment ihres Erscheinens zugleich entziehen, dieses Herstellen einer Präsenz zwischen Verortung und Ent-Ortung lässt sich auch in Twist of Fate (2013) nachweisen. Das Bild basiert auf einem Foto, das Hambrecht von einem Mobilfunkladen in Seoul gemacht hatte, und zeigt einen Raum, der sich im perfekten Gleichgewicht zwischen noch nicht beendetem Umbau und möglicherweise endgültigem Zusammenbruch befindet. Wenn der Satz, das Leben sei eine Baustelle eine Berechtigung haben sollte, dann hier. Zwischen Kabeln, Bauschutt, Abdeckplanen, Farbeimern, einer Schaufel und einem Zimmerventilator wird unser Blick auf einen Mauerdurchbruch gelenkt, hinter dem eine Person auf einer Leiter fast von der sich dort ausbreitenden höhlenartigen Dunkelheit geschluckt wird. Vom Raum ist hier nicht mehr viel mehr geblieben als seine Zerlegung in fragmentierte Einzelteile, die auf verschiedene Weise modular zusammengefügt werden könnten, jedenfalls aber nie mehr ein stabiles Ganzes ergeben könnten. Dennoch strahlt auch diese Szene nichts Katastrophisches aus. Das liegt nicht zuletzt an ihrer kompositorischen und farbdramaturgischen Anlage, die jedem Element dieses im Wesentlichen auf farbigen Rechtecken basierenden Bildes ein entsprechendes Gegenstück zuordnet und die Malerei so in absolutem Gleichgewicht hält.
Seine Fähigkeit, Räume malerisch zu destabilisieren, sie zum Gleiten zu bringen, und sie dennoch kompositorisch im Gleichgewicht zu halten, löst Wolfgang Hambrecht auf stupende Weise in Recovery (2014) ein. Das Bild, basierend auf einem Polizeifoto, zeigt das aus Planen, Mülltonnen und Küchenutensilien gebildete Lager eines Obdachlosen in einem kahlen, winterlichen Wald. Aber darüber hinaus zeigt es vor allem die Verwandlung einer statischen Situation, in eine schlitternde, rotierende Bewegung, die das Bild genau bis zu dem Punkt beschleunigt, an dem es auseinanderzufliegen droht, um es dann wieder zusammenzuziehen. Wie in Twist of Fate haben wir es auch hier mit einem equilibristischen Drahtseilakt zwischen Auflösung und Verdichtung zu tun. Nur vordergründig beispielsweise erscheint das Lager als ungeordnet und chaotisch. Bei näherer Betrachtung verknüpft sich vielmehr alles zu einem Rebus, der einer ähnlichen Logik wie in Fischli & Weiss berühmtem Der Lauf der Dinge folgt. Auf einem grünen Mülleimer befinden sich Stiefel, die fast folgerichtig zu einer an einem Ast hängenden Pfanne überleiten, die wiederum über zwei an einer Wäscheleine hängenden Kleidungstücke zu einer Kopfbedeckung führen, und so ein beinahe vollständiges Porträt des abwesenden Bewohners erstellen. Gleichzeitig führt eine weitere Spur von dem kreisrunden Boden der silbernen Pfanne zu dem runden Deckel einer im Vordergrund diagonal hängenden blauen Mülltonne, die malerisch in eine - das ganze Bild erfassende - Rotation versetzt ist, und zugleich auf eine weitere Mülltonne im linken Bildfeld und einen weißen runden Gasbrenner verweist. Die Qualität dieser Arbeit besteht nicht zuletzt darin, dass sie keine aufgesetzte Metaphorik oder bemühte Symbolik benötigt, um ihr Thema der Fragilität von Raum und Existenz und der sich dabei momenthaft einstellenden Balance glaubwürdig zu formulieren. Sie konzentriert sich vielmehr zu Recht darauf, dass sie - im Wissen dass jedes Bild nur Oberflächen zeigen kann - diese Oberfläche so zeigt, dass sie zu ihrer eigenen abgründigen Tiefe wird. Und sie unterstützt und kommentiert diese paradoxe Oberflächentiefe durch eine Malerei, die jegliche klobige Kompaktheit vermeidet, sondern als offen vorgeführtes Spielfeld unterschiedlichster malerischer Zeichen und Haltungen zwischen dem formalen Vorzeigen des malerischen Instrumentariums und seiner Aufladung mit einer komplexen enigmatischen Inhaltlichkeit oszilliert, und damit die grundsätzliche Ambivalenz-Strategie des Werks unterstreicht.
AUF FREIEM FELD DIE SPANNUNG HALTEN
Thomas Janzen
Dass alles auch anders sein könnte, ist ein Eindruck, der sich in Anbetracht der Malerei von Wolfgang Hambrecht unwillkürlich und immer wieder einstellt. Überblicken wir Hambrechts Schaffen der letzten Jahre, so wird sehr bald offenbar, dass der Maler über ein sich stetig erweiterndes Repertoire solitärer malerischer Formen und Gesten verfügt, das, gemessen an den Avantgarden des 20. Jahrhunderts, Gegensätze in sich vereint: die freie Gebärde, die mit dem Index der Subjektivität versehen ist, und die geometrische Konstruktion, die vielfach mit mathematischer Objektivität gleichgesetzt wurde. Gestische Linien- und Farbknäule, Ellipsen und eckige Geometrien, längsgerichtete Flächen, deren Enden gerundet sind, amorphe Strukturen, gebildet aus einfachen, geraden Schraffuren – sie und manche andere sind die Protagonisten der Gemälde Wolfgang Hambrechts, und sie sind es in besonderem Maße, weil sie jeder Zeit auftreten können, in neuer Konstellation und in veränderter aber doch wiedererkennbarer Gestalt. Das Bild ist zuallererst die plane Bühne ihrer Auftritte.
Dieser Grund, auf dem die malerischen Typen, die Hambrecht selbst auch „malerische Zeichen“ nennt, aufeinandertreffen, ist unbestimmt – eine Fläche, die zwar aufgrund ihrer mitunter schrillen Farbigkeit Signalwirkung besitzen kann, die aber keine Örtlichkeit definiert, außer derjenigen des Bildes, das heißt hier der Malfläche selbst. Sie fungiert als ein weitgehend neutraler Screen, auf dem die Formelemente sich selbst überlassen bleiben. Betrachtet man die farbige Grundierung, mag man sie konkret nennen im Sinne monochromer Farbmalerei; aus dem Blickwinkel der solitären Elemente, die auf ihr agieren, ist sie abstrakt. Eine vergleichbare Ambivalenz kennzeichnet aber auch die Akteure. Denn sind sie einzeln betrachtet unmittelbarer, konkreter malerischer Vollzug, sei es in gestischer, sei es in geometrischer Formulierung, so werden sie doch im Blick auf das jeweilige Bildganze aufgeführt und entwickeln gerade insofern figurative Dimensionen. Im übertragen Sinne sind sie Spieler, die das Rechteck der Leinwand als ein Spielfeld der Malerei in Erscheinung treten lassen.
Dennoch zielt Hambrechts Malerei nicht lediglich auf die Vorführung stilistischer Gegensätze und Konventionen von Malerei ab. Malereidiskurs und Appropriation gelten ihr eher als historische Bedingung, sich auf ein bestimmtes theoretisches Niveau zu begeben, sowie als zeitgenössische Möglichkeit, aus einem unerschöpflichen Fundus der Kunst, des Designs, des Alltags frei wählen zu können. So tauchen in Hambrechts Bildern beispielsweise verschiedentlich umrandete Formen auf, die an Schaltflächen oder blinde Spiegel erinnern können, während sie zugleich auf chromatische Farbverläufe anspielen, wie sie insbesondere aus der Malerei der fünfziger und sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts bekannt sind. Ein roter, wellenartiger Pinselschwung besitzt Ähnlichkeiten mit dem legendären Pantonstuhl, während weitere Elemente an Schaltkreise, Warencodes, Testbilder oder Wassertropfen angelehnt zu sein scheinen. Dabei handelt es sich freilich nicht um eindeutige Konnotationen, die in eine syntaktische Ordnung zu bringen wären. Vielmehr fungiert diese vage Mimesis als Stimulus für Malerei.
Den Anspruch, gänzlich neue Formen und Sichtbarkeiten erzeugen zu wollen, werden wir in Hambrechts Bildern daher vergeblich suchen. Es ist hingegen gerade ein Ausdruck konzeptioneller Souveränität, in dem Bewusstsein, dass genannter Anspruch seine historische Grundlage verloren haben könnte, originäre und originelle Malerei zu betreiben. Und eben dies gelingt Wolfgang Hambrecht, indem er mittels einer malerischen Kombinatorik Bildsituationen herstellt, die auf keine höhere Ordnung verweisen und insofern auch, wie es Ulrich Loock im Katalog Wolfgang Hambrecht (2001) formuliert hat, keine notwendigen Einheiten bilden. Es sind Situationen, die wie zufällig entstanden sein und in jedem Moment wieder auseinanderfallen könnten, die aber genau auf diese Offenheit hin konzipiert worden sind und in eben dieser Offenheit Qualitäten wie Spannung und Präzision aufrecht erhalten, um sie zugleich mit Witz und Ironie anzureichern.
So kann von Situationen angesichts seiner Bilder allein deshalb gesprochen werden, weil zwischen den einzelnen Bildelementen in ihrer Disparatheit Bezüge entstehen. Selten sind sie so offensichtlich, wie in dem großformatigen Gemälde Institute for Porous Media von 2001. Denn wie in einem Zwiegespräch stehen sich in dieser Arbeit ein rechtwicklig-geometrisches und ein organisch-geschwungenes Element - mit überaus ähnlicher Grundstruktur - über die Diagonale des Bilde hinweg gegenüber. Wie hier, so bleibt in vielen Arbeiten Hambrechts die Bildmitte frei, um von den virtuellen Energien des Personals aufgeladen zu werden. So etwa auch in Dorsia aus dem Jahre 2000 (Abb.). Ihr Klang ist kühler als derjenige des zuvor genannten Bildes. Dies liegt zum einen an der türkisgrünen Grundierung. Doch kühl ist ebenfalls das Beieinander der Formelemente, wobei auch zwischen ihnen zweifellos Relationen sichtbar werden: zwischen dem dunklen, schlangenartig emporwachsenden Pinselstrich und der fleischfarbenen, von der oberen Kante in die Mitte des Bildes zeigenden Farbbahn ebenso wie zwischen den linear-geometrischen Elementen. Die Mitspieler scheinen in einer eigentümlichen, indifferenten Schwebe zu verharren. Jedenfalls ist es kaum zu bestimmen, ob sie sich aufeinander zu bewegen, oder auseinander driften. Die Spannung wird dabei vor allem über die Farbe gehalten. Ihre Dissonanzen, die sich nicht im Kontrast allein, etwa von fleischfarben zu türkis, sondern auch in der Verwandtschaft, insbesondere der Grün-, Türkis- und Blautöne, ausdrücken, verleihen dem Bild paradoxerweise seine Stimmigkeit.
Bei aller Unbestimmtheit dessen, was geschieht, kündigen die Bilder eine Metaphorik der Beziehungen an. Nähe und Distanz, Gemeinschaft und Vereinzelung: Hambrechts Malerei scheint von solchen Relationen durchdrungen, wobei deren Artikulation, gerade dort wo sie konkret wird, ausnahmslos ironische Züge aufweist. So sehen wir etwa in dem Gemälde Apotrop aus dem Jahre 2000, wie ein nervös verschlungener Linienverlauf in eine andere, noch feuchte Farbform hineingemalt wird und deren Blauton annimmt. Es ist dies eine Anverwandlung, der die Rahmenbedingungen fehlen, um in eine glaubwürdige metaphorische Lesart übersetzt zu werden. Die konkrete Malhandlung erscheint bewusst auf die formale Bildebene zurückgesetzt; dem Versuch gegenüber, ihrer Ausdrucksqualität auf die Spur zu kommen, bleibt sie stumm. Hambrechts zeichenhaftes Formenrepertoire verweigert gleichsam die Aussage, und das Fehlen jedweder Syntax lässt auch die angesprochenen Verhältnisse von Nähe und Distanz ins Leere laufen. Deshalb bringen Hambrechts Gemälde ihren Betrachter in eine gewisse Bredouille. Denn nicht nur ästhetische Einheit und höhere Ordnung sind in ihnen aufgegeben, auch auf der partikularen Ebene sind die einzelnen malerischen Elemente einer vielleicht noch grundlegenderen Dissoziation unterworfen. Konkret gesagt: Ihr Zeichencharakter hindert uns daran, das Bild als reine, ungegenständliche Malerei zu betrachten, während er gleichzeitig nicht ausdrücklich genug ist, um tatsächlich etwas zu bedeuten. Indem Wolfgang Hambrechts Malerei weder eindeutig zur rein malerischen noch zur sprachlichen Seite ausschlägt, verharren die Bilder unentschieden zwischen den Systemen. Sie beharren auf einer Vorausdrücklichkeit, auf einer gewissen Rohheit sogar. Wie sollen sie wahrgenommen, wie gelesen werden? Nicht zuletzt aus dieser Unentscheidbarkeit erwächst ihre innere Spannung, die sie auf dem freien Feld der Malerei behaupten.
FREIHEIT AUF VERMESSENEM TERRAIN
Thomas Janzen
Exakte Geraden und Winkel, sanfte und wilde Kurven, Schlingerkurse, zielstrebige Auf- und Abstiege: Der Pinselstrich ist Protagonist in den Werken des Düsseldorfer Malers Wolfgang Hambrecht. Zwischen Verdichtung und Auflichtung, Überlagerung und Vereinzelung offenbart er sein multiples Wesen. Organisches, vegetabiles Wachstum und konstruktiver Aufbau sind ihm gleichermaßen bekannt. Er kann sich treiben lassen oder einem festen Plan folgen, er kann sich selbst ausreichen oder einem anderen Zweck dienen, zum Beispiel der Darstellung eines Gegenstandes. Die Art, wie sich im OEuvre Hambrechts die Schwerpunkte zwischen Abstraktion und Gegenstand verlagern, entspricht freilich keiner linearen Entwicklung, weder im Sinne einer Überwindung des Gegenstandes noch einer Rückbesinnung auf einen äußeren, wiederzuerkennenden Referenten. Vielmehr gleicht seine OEuvreentwicklung einem fortwährenden Spiel – einem Abenteuer, in dem der Pinselstrich verschiedene Identitäten annimmt.
In einer größeren Zahl von Gemälden, die seit Ende der 1990er Jahre entstehen, sind die Aspekte gestischer Freiheit und geometrischer, konstruktiver Strenge der Linie bzw. des Pinselstrichs, in eins geblendet. So stellt sich angesichts von Gemälden wie Edfu, Dorsia oder Dakhla, die alle im Jahre 2000 entstanden sind, alsbald der Eindruck ein, dass die freien Linienverläufe ein hohes Maß an Planung und Kalkül aufweisen, sowie im Gegenzug die geometrischen Formen und Anordnungen der Linien von Unregelmäßigkeiten und malerischen Freiheiten bestimmt werden. Der „freie“ malerische Gestus, dem im Kontext der expressionistischen Malerei per se Qualitäten wie Emotionalität und subjektiver Ausdruck attestiert wurden, verfestigt sich in diesen Gemälden, wie es der Maler selbst einmal benannt hat, zum „malerischen Zeichen“. Vor meist einfarbigen Hintergründen erscheinen sie als solitäre Bildelemente, die sich wie die Figuren in einem Computerspiel auf einer festgelegten Fläche bewegen. Eine schwarze, in sich verschlungene Pinselspur kann dabei einem geometrischen Linienverlauf korrespondierend und vollkommen gleichwertig, aber auch gleich gültig gegenüberstehen. Die Elemente mögen sich berühren oder überlagern, sich wie Magnete abstoßen oder anziehen; was sie auf der Fläche formulieren, sind malerische Situationen und kontingente Ordnungen ohne übergreifendes System. Die Malerei ist physisch spürbar und in diesem Sinne konkret. Als Ansammlung selbstreferenzieller Zeichenelemente wird sie zugleich zur Darstellerin ihrer selbst. Für sich genommen mag man einen gestischen Linienverlauf als bloße malerische Bewegung verstehen; als begrenztes Bildzeichen oder gestisches Versatzstück formuliert es jedoch das Paradox einer Narration ohne Inhalt, einer entleerten Mimesis.
Etwa zehn Jahre zuvor, Anfang der 1990er Jahre, führt der Pinselstrich in Hambrechts Gemälden ein scheinbar wildes und zügelloses Leben. Vielfarbige, gestische Pinselschwünge suggerieren ein Höchstmaß an Bewegung und komplexer Überlagerung. Sieht man die Bilder dieser Phase im Zusammenhang, so gleichen sie alsbald einer Untersuchungsreihe zu den formalen Verhältnissen von Dynamik und Statik, Ganzes und Ausschnitt, Verdichtung und Öffnung. Die vermeintlichen Eruptionen sind dabei eher Zustandsprotokolle, in denen der Maler den Vollzug des Malens im Bild beobachtet. Mitunter ist es, als zoomte er sich so nah an die Linien heran, dass sie wie die Fasern in einer mikroskopischen Studie ihren Zusammenhang verlieren und in einem unbestimmten Raum zu schweben scheinen. Dann richtet sich der Blick wieder auf eine große Anzahl von Bewegungsspuren, die sich in der imaginären Tiefe des Bildes unendlich fortsetzen könnten. Hambrecht testet dabei fast beiläufig die Expression der malerischen Geste, wenn er ihre Schnelligkeiten variiert, ihre Richtungen abrupt wechselt oder Kollisionen verursacht. Er betrachtet die Malerei nicht als Mittel eigener emotionaler Entladung, sondern wahrt die Distanz des Analytikers. Mehr noch: Was Hambrecht fortwährend betreibt, ist eine skeptische Phänomenologie der Malerei selbst.
Vor diesem Hintergrund ist es interessant zwei frühe Werkgruppen, die noch während des Studiums an der Düsseldorfer Kunstakademie entstanden sind, in die Betrachtung mit einzubeziehen. So experimentiert Hambrecht Mitte der 1980er Jahre eine Zeit lang mit dem Industriematerial Formica (Resopal). Es entstehen einige kistenartige Objekte, die auf ihren Innenseiten klecksartige, bronzefarbene Strukturen auf Schwarz zeigen. Es handelt sich hierbei gewissermaßen um gefundene Malerei, der keinerlei individueller Ausdruckswille unterstellt werden kann. Stege aus Pressspan, die als Abstandhalter zwischen den Innen- und Außenwänden eingefügt sind, betonen den konstruierten, modellhaften Charakter. Stehen diese Objekte einerseits unter dem Einfluss der reduktionistischen Ansätze eines Donald Judd oder Richard Artschwager, so zeigen sie andererseits deutlich die Spuren ihrer Herstellung. Da die Außenseiten nicht weiter aufbereitet sind, besitzen sie noch einen rohen, bewusst unperfekten, pragmatischen und alltäglichen Charakter. Die Innenseiten wenden den Eindruck ins Optische, jedenfalls erscheinen die Schlieren und Klecksstrukturen auf den einzelnen Platten durch Spiegelungen im schwarzen Resopal verdichtet. Wir haben es insofern mit Sehobjekten zu tun, die in ihrem Inneren gewissermaßen eine abstrakte Illusion vermitteln. Wenige Monate später entstehen einige großformatige Gemälde, die das Problem der Abstraktion von entgegengesetzter Seite angehen. Hambrecht verleiht der Farbe körperliche Wucht. Er lässt sie nicht nur expressiv strömen, er schreibt ihr zugleich einen latent fleischlichen Charakter ein. Tatsächlich geht er von menschlichen Körperteilen aus, die er stark verfremdet und rein malerisch auslegt. Die Farbe nimmt wie von selbst, ohne dass man in den Bildern Anatomien erkennen muss, körperliche Gestalt an. So treten beispielsweise breite, stammartige Formkonfigurationen vor einem schwarz-grauen Hintergrund plastisch und voluminös hervor. Die malerische Dekonstruktion des menschlichen Körpers ist hier wiederum weniger als dramatischer Ausdruck innerer Zerrissenheit oder physischer Verletzlichkeit zu verstehen, denn als Zustandsbestimmung der Malerei zwischen Abstraktion und Figur.
Die Frage, wie Bilder Bedeutung generieren – in Anlehnung an eine äußere Realität ebenso wie in Bezug auf die formalen Grundlagen der Malerei –, markiert bis heute den eigentlichen Bild- und Untersuchungsgegenstand im Schaffen Hambrechts. In dem jüngeren Gemälde Wired (2008) ist die doppelte Semantik des Pinselstrichs als Selbstdarstellung und Verbildlichung eines gegenständlichen Eindrucks deutlich erkennbar. Der Maler gewährt uns den Blick in eine Konstruktionshalle für Flugzeuge. Ein im Bau befindliches Kleinflugzeug besetzt den vorderen Teil eines Raumes, der in seiner perspektivischen Fluchtung eine enorme Sogwirkung entfaltet. Ist der Bildraum mittels der traditionellen Fluchtpunktperspektive konstruiert, so steigert, hemmt, beschleunigt und verlangsamt Hambrecht die Dynamik des Tiefensogs durch eine entsprechende Pinselführung in parallelen diagonalen und senkrechten Bahnen. Der weiße, von hinten durchscheinende Bildgrund schafft eine gleichsam luzide Atmosphäre, die die dingliche Präsenz des Motivs zurückdrängt. Obwohl das Bild nicht den geringsten Zweifel an seiner Darstellung aufkommen lässt, so könnte es dennoch jederzeit ins Ungegenständliche umschlagen – wenn sich beispielsweise ein Kabel als Pinselspur verflüchtigt oder Boden- und Wandflächen malerisch aufgelöst werden. Das unfertige, noch aus einzelnen Teilen bestehende Flugzeug, besitzt rein anschaulich bereits etwas von seiner späteren Bestimmung, die Schwerkraft zu überwinden. Der fragmentarische Zustand des Motivs gewinnt bei Hambrecht malerische Form, wobei vor allem die Ambivalenzen der Malerei – ihre Konnotationen, Freiheiten und Brüche – in den Fokus rücken.
BILD OHNE BILD
Ulrich Loock
Die Malerei: ein Format...eine Gegebenheit, ein Rahmen, eine Geschichte, ein definiertes Feld der Möglichkeiten. Die Malerei ist nicht mehr zu erfinden. Sie ist bei WH Sache der Theorie, Theorie verstanden nahe beim ursprünglichen Wortsinn, nämlich als Anschauung, welche ihren Gegenstand ausschneidet aus der Ausbreitung der Welt ("Die Welt ist alles, was der Fall ist"), welche ihren Gegenstand vor sich bringt, ihn sich, aus der Distanz betrachtet, als Gegenstand vornimmt. Diese Theorie ist Sache der Malerei. Malerei bleibt eine Praxis der Anschauung, doch ist sie nicht mehr Anschauung der äusseren oder inneren Dinge, denen sie sich während ihrer ganzen Geschichte zugewendet hat, in die sie sich verwickelt und deren Bilder sie entworfen hat, sondern Anschauung ihrer eigenen Wirklichkeit, eine Anschauung zweiten Grades. Diese "eigene Wirklichkeit" der Malerei ist nicht zu verwechseln mit der Realität einer Malerei, die als Wirkliches unter anderem Wirklichen aufzutreten beansprucht. WHs Malerei nimmt nicht jenen Paradigmawechsel (vom Imaginären zum Realen) vor, mit dem gewisse Malerei im 20. Jahrhundert sich ein neues Feld der Praxis zu erschliessen gesucht hat. Ihr Paradigma bleibt das Bild (das Bild von etwas, das Bild, in dem sich etwas anderes, inneres oder äusseres, niederschlägt), doch schliesst die Theorie aus, wovon das Bild ein Bild ist. Sie produziert einen Mangel, der zu unterscheiden ist von jener Absenz des Dargestellten, die unter dem Namen des Illusionismus das Bild in Misskredit gebracht hat. Die Theorie ist Sache eines Blickes, der sich auf alles richtet, was etwas zu sehen gibt. Zur Anschauung kommt, was bleibt, wenn nicht zu sehen ist, was zu zeigen einmal Möglichkeit und Aufgabe der Malerei war. Zur Anschauung kommen Mittel und Methode. Die Theorie resultiert in einer Umkehrung malerischer Potentialität. Nichts ist mehr möglich, was die Darstellung betrifft. Die Theorie, wohlgemerkt malerische, in Form der Malerei vorgebrachte Theorie, macht die Malerei zu einem puren Medium. Dieser theoretische Schnitt ist der Einsatz von WHs Malerei. Sie schafft kein Bild im jahrhundertelang gültigen Sinn, sie schafft aber auch nichts, was kein Bild wäre: Bild ohne Bild. Es ist bewegend zu sehen, wie diese Aporie durch gelegentliche Schatten oder Nachbilder der ausgeschlossenen Gegenständlichkeit nur bestätigt und unterstrichen wird...
Ausdrücklich handelt es sich also nicht um abstrakte (oder konkrete) Malerei im Sinne von Konstruktionen, die Farb- und Formelemente zu Analogien der Welt zusammenfügen. Pinselzüge in unterschiedlichen Konstellationen (Gitter, geknickte Linien, Knäuel, geometrische Formen), unterschiedlichem Duktus, unterschiedlicher Materialität und Farbigkeit, einzelne Farb/Formkomplexe sind aus jeder Bindung an bildliche Darstellung gelöst, sei sie nun "gegenständlich" oder "abstrakt" (flottierende Signifikanten). Der Theorie werden Bildeinheiten und malerische Vorgehensweisen zu Elementen eines Inventars, idealerweise eines Inventars, das alle Möglichkeiten der malerischen Praxis umfasst. Dauernd finden praktische Erweiterungen des Inventars statt. Von Bild zu Bild ruft WH Elemente des Inventars auf und bereichert es damit. Jedes Bild ist eine Aktualisierung des Inventars, dessen Elemente sich von Bild zu Bild wiederholen und dabei abgeändert werden. Hier kommt es zu malerischen Erfindungen, hier hat die Lust des Malers statt. Das Bildformat repräsentiert die Grenzen des Inventars. Gewöhnlich ist die gesamte Fläche monochrom eingefärbt, manchmal wird die Vorgehensweise des Farbauftrags eigens sichtbar. Die Bildfläche funktioniert wie ein Projektionsschirm - das ist nicht Lautrèamonts Seziertisch, da die einzelnen Elemente nicht jene Qualität gegenständlicher Eigenständigkeit haben, die sie einander fremd machen könnte: Sie gleichen einander, so unterschiedlich sie auch erscheinen mögen. Auf der neutralen Bildfläche verteilt sind sie gemäss Empfindungen ästhetischer Stimmigkeit. Die Bilder opponieren der Komposition im starken Sinne einer metaphorischen Konstruktion, es sind keine notwendigen Einheiten, sie bleiben immer bestimmt durch die Kontingenz, die das Inventar charakterisiert. Das Ganze ist die Summe seiner Teile.
Grundsätzlich gehorchen WHs Bilder einer Logik der Aufzählung, und wenn sie diese Logik nicht in der zu erwartenden Form etwa einer seriellen Reihung übersetzen, so ist das konsistent mit der Vermeidung eines Paradigmawechsels. WHs Malereien werden als Bilder ohne Bilder realisiert, indem sie mit der differenzierten Verteilung von Bildelementen auf einer gegebenen Fläche aus der malerischen Komposition eine ästhetische Konvention machen. Unter der Bedingung theoretischer Objektivierung persistiert, was in einer jahrhundertealten Geschichte als Malerei herausgebildet wurde, als deren Simulation. Der Autor macht sich selbst zum Arrangeur, zum Verwalter geschichtlicher Möglichkeiten der Malerei. Was hier geschieht, ist eine Formulierung des "Endes der Malerei", die nur insofern nicht zu Ende ist, als sie ihr eigenes Ende ins Werk setzt. Es ist eindrucksvoll zu sehen, mit welcher Konsequenz und Präzision WH sich aufhält in dieser Problemzone der Kunst.
DURCHSCHEINEND
Stephan Berg
In einem Interview mit Doris Krystof Anfang 2001 macht Wolfgang Hambrecht eine Bemerkung, die mir ins Zentrum seines ungewöhnlichen malerischen Schaffens zu führen scheint. Gefragt nach seiner malerischen Entwicklung verweist er zunächst auf die verschiedenen systematisierenden Anläufe, die er im Lauf der Jahre gemacht habe, um dann auszuführen: „Dabei hat allerdings immer wieder meine Praxis die Theorie widerlegt. Die Malerei habe ich immer wieder aufgebrochen und es kam zu einem Spiel der Formen, die ich teilweise bereits benutzt hatte und welche wieder etwas Neues ergaben“. So etwas kann nur einer sagen, der - gespeist durch ein profundes Wissen über die jüngere Malereigeschichte - die Gefahren einer vollkommen durchprogrammierten Malerei kennt, und daraus ein begründetes Misstrauen gegenüber Bildern entwickelt hat, die nur Gewusstes enthalten, sozusagen nur gemalte Theorie sind. Wolfgang Hambrecht dagegen geht es immer um ein malerisches Abenteuer, um Balanceakte. Sein Ziel ist es, das Bild soweit zu öffnen, dass es instabil, und in einem grundsätzlichen Sinn durchscheinend und durchlässig wird. Zum einen im Hinblick auf sich selbst, auf die eigene malerische Praxis, zum anderen aber auch im Hinblick auf das in dieser Malerei Gezeigte, das sich eigentlich immer nur so weit konkretisieren soll und darf, dass es zugleich auch seine eigene Hinterfragung beinhaltet. Dieser Balanceakt infiziert von vornherein jede malerische Aktion auf der Leinwand und führt zu Pinselbewegungen, die für sich genommen stets den Anspruch haben, sowohl Selbstausdruck, im Sinne autonomer reiner Malerei zu sein, wie auch Annäherungen an die Gegenstände und narrativen Displays, die auf diesen Bildern erscheinen. Es geht um die Suche nach malerischen Zeichen, die sich selbst bedeuten, und dabei doch auch immer auf etwas außerhalb ihrer selbst verweisen.
Das gilt in gewisser Weise bereits für das abstrakte malerische Werk Hambrechts, das zwischen 1989 und 2003 entstanden ist. Die malerischen Elemente, die der Künstler hier auf vorwiegend monochromen Grund platziert, haben selbst eine eigentümliche Doppellogik zwischen nicht ganz vollzogener Signifikanz und ebenfalls nicht vollständiger Indifferenz. In ihrer Zeichenhaftigkeit deuten sie eine Dechiffrierbarkeit an, die sie andererseits gar nicht einlösen wollen. Eine ähnliche Ambivalenz lässt sich in der gesamtkompositorischen Anlage beobachten. Die bildnerischen Situationen, die der Künstler mit seinen zwittrigen, malerischen Akteuren herstellt, argumentieren gerade nicht mit einer finalen Festigkeit und Endgültigkeit, sondern suchen bewusst eine Offenheit, die sie bisweilen an den Rand des Auseinanderfallens bringt. Die Bildspannung entsteht dabei genau daraus: Dass das Bild sich selbst als einen Kipp-Punkt zwischen nicht mehr möglicher endgültiger Fixierung und noch nicht stattfindender Auflösung situiert.
Wenn man vor diesem Hintergrund sagen würde, dass Hambrecht früher ein abstrakter Maler gewesen ist, der heute zur Gegenständlichkeit (mit der er übrigens in seiner Akademiezeit Mitte der 80er Jahre begonnen hatte) zurückgefunden hat, dann wäre das genau so falsch, wie wenn man behaupten würde, die gegenständlichen Motive, die er heute malt, seien eigentlich als Motive bedeutungslos, weil es ihm im Kern eigentlich immer nur um Abstraktion gehen würde. Es ist, wie immer bei Kunst, komplizierter, und zugleich einfacher. Hambrecht, der in Karlsruhe bei Per Kirkeby und in Düsseldorf bei Dieter Krieg studiert hat, ist ein Wanderer zwischen den Welten. In seinen Bildern entdeckt man in Spurenelementen die tektonische, geologische Abstraktion Kirkebys, aber auch die Liebe zum suggestiven Motiv, die Dieter Krieg und seine energetische Malerei kennzeichnet. Daraus ergeben sich malerische Konstellationen, in denen sich immer wieder die Gewichte verschieben können, die Bilder aber in jedem Fall darauf beharren, keine in sich geschlossene Eindeutigkeit herzustellen.
Kontingenz ist insofern ein wichtiges Stichwort für dieses Werk. Dass alles immer auch anders und etwas anderes sein, als das, was es gerade ist, dass jede Konstellation in sich vielfältige Verwandlungsmöglichkeiten birgt, ist der DNA dieser Malerei fest eingeschrieben. Etwas Liquides zeichnet diese Malerei aus, eine Verflüssigung, die aber nichts Vages, Unentschlossenes hat, sondern programmatisch eine Haltung zum Bild und zur Welt dokumentiert, die auf ein strukturelles Da-Zwischen zielt. Das betrifft nicht nur die Motive, sondern auch die Maltechnik Hambrechts, die aus einer elaborierten Kombination von zeichnerischen Elementen, dünnflüssiger Acryl- und punktueller Ölmalerei einen diaphanen, fast schwebenden Eindruck aufbaut. Dies sind keine Bilder in schweren Rüstungen, die ihre eigene Unverrückbarkeit betonen, sondern eher federleichte, durchaus auch atmosphärische Luftgeschöpfe. Souverän in der Behandlung der malerischen Mittel lassen sie zugleich das Prekäre, Fragile ihrer Existenz (und zugleich der des Dargestellten) durchscheinen. „Auf freiem Feld“ hat der Künstler seine kleine Publikation genannt, die anlässlich seiner Ausstellung im Stadtmuseum Beckum 2014 entstand. Dieser Titel könnte auch über dem gesamten Werk des Künstlers stehen, das seine Freiheit daraus gewinnt, dass es sich dem Freien und damit notwendiger Weise immer auch Gefährdeten aussetzt, ohne ein festes Fundament einziehen zu können oder zu wollen.
Vielleicht spielen ja auch deswegen Häuser oder allgemeiner Behausungen so eine große Rolle in dieser Malerei, weil der Schutz und die Sicherheit, die sie zu versprechen scheinen, genau die notwendige Fallhöhe formuliert, von der aus der Künstler seine subtilen Destabilisierungen vornimmt. Das Haus ist bei Hambrecht stets eine gefährdete und potenziell auch gefährliche Angelegenheit. Wohnwagen ( The Arsonist, 2012), schwimmende Häuser (Das Hausboot 2010, Floating Islands, 2009), eine Lagerhalle (The Institute of Porous Media, 2007 ), Waldhütten (Haus des Anarchisten, 2010), oder die zusammenbrechende Ruine eines denkmalgeschützten Hauses in Detroit (Adam and Eve, 2013) sind zentrale Schauplätze für Hambrechts fließende, mit Lücken, Unterbrechungen, Abklebungen und Reduktionen arbeitende Acryl- und Öl-Malerei, die stets auf der Basis von Fotos - selbstgemachten oder gefundenen - entsteht. Das Provisorische der Behausungen findet seine Verstärkung in einem Malduktus, der alles nur so weit ausführt, wie es nötig ist, Genauigkeit aus Unschärfe herstellt, und jeglicher Stabilität durch flüchtig wirkende, in Wahrheit aber sehr präzise Verwischungen den Boden entzieht.
o.T (2014) ist ein weiteres eindrucksvolles Beispiel in dieser Reihe. Aus einem dschungelartig wuchernden Hintergrund schält sich eine aus ein paar Ästen gebildete, nach zwei Seiten hin offene rudimentäre Rundhütte, in deren fast nicht vorhandenem Inneren sich unter anderem eine Matratze mit grünem, ornamentalem Blattmuster befindet. Auf einem im Vordergrund noch leise glimmenden Feuer steht ein Topf mit Deckel neben einem weiteren, mit weiß leuchtendem Reis gefüllten Gefäß. Alles auf diesem Bild ist gewissermaßen doppelt kodiert: Das Lagerfeuer, die provisorische Hütte und die Matratze signalisieren eine bedrohte, aber im Augenblick doch auch irgendwie tröstliche Heimeligkeit und Geborgenheit. Der im Hintergrund grünschwarz verschwimmende Dschungel mit den fahlen Vertikalen der Bäume scheint das prekäre Nest in seine Tiefen einzusaugen, und bildet doch auch einen schützenden Wall um das offene Lager. Es geht Wolfgang Hambrecht um solche Momente, in denen eine magische Balance aus Unsicherheit und Geborgenheit entsteht, eine Ambivalenz, die in keine Richtung hin auflösbar ist. Als wichtiger Kunstgriff erweist sich dabei die Entscheidung, die Hütte und den vorgelagerten Kochplatz so direkt in der Bildmitte zu platzieren, dass er einerseits eindeutig das zentrale Motiv der Komposition wird, und sich zugleich in seiner ephemeren Erscheinung beinahe in die Umgebung auflöst und in ihr verschwindet.
Diese Vorliebe für Orte, die sich im Moment ihres Erscheinens zugleich entziehen, dieses Herstellen einer Präsenz zwischen Verortung und Ent-Ortung lässt sich auch in Twist of Fate (2013) nachweisen. Das Bild basiert auf einem Foto, das Hambrecht von einem Mobilfunkladen in Seoul gemacht hatte, und zeigt einen Raum, der sich im perfekten Gleichgewicht zwischen noch nicht beendetem Umbau und möglicherweise endgültigem Zusammenbruch befindet. Wenn der Satz, das Leben sei eine Baustelle eine Berechtigung haben sollte, dann hier. Zwischen Kabeln, Bauschutt, Abdeckplanen, Farbeimern, einer Schaufel und einem Zimmerventilator wird unser Blick auf einen Mauerdurchbruch gelenkt, hinter dem eine Person auf einer Leiter fast von der sich dort ausbreitenden höhlenartigen Dunkelheit geschluckt wird. Vom Raum ist hier nicht mehr viel mehr geblieben als seine Zerlegung in fragmentierte Einzelteile, die auf verschiedene Weise modular zusammengefügt werden könnten, jedenfalls aber nie mehr ein stabiles Ganzes ergeben könnten. Dennoch strahlt auch diese Szene nichts Katastrophisches aus. Das liegt nicht zuletzt an ihrer kompositorischen und farbdramaturgischen Anlage, die jedem Element dieses im Wesentlichen auf farbigen Rechtecken basierenden Bildes ein entsprechendes Gegenstück zuordnet und die Malerei so in absolutem Gleichgewicht hält.
Seine Fähigkeit, Räume malerisch zu destabilisieren, sie zum Gleiten zu bringen, und sie dennoch kompositorisch im Gleichgewicht zu halten, löst Wolfgang Hambrecht auf stupende Weise in Recovery (2014) ein. Das Bild, basierend auf einem Polizeifoto, zeigt das aus Planen, Mülltonnen und Küchenutensilien gebildete Lager eines Obdachlosen in einem kahlen, winterlichen Wald. Aber darüber hinaus zeigt es vor allem die Verwandlung einer statischen Situation, in eine schlitternde, rotierende Bewegung, die das Bild genau bis zu dem Punkt beschleunigt, an dem es auseinanderzufliegen droht, um es dann wieder zusammenzuziehen. Wie in Twist of Fate haben wir es auch hier mit einem equilibristischen Drahtseilakt zwischen Auflösung und Verdichtung zu tun. Nur vordergründig beispielsweise erscheint das Lager als ungeordnet und chaotisch. Bei näherer Betrachtung verknüpft sich vielmehr alles zu einem Rebus, der einer ähnlichen Logik wie in Fischli & Weiss berühmtem Der Lauf der Dinge folgt. Auf einem grünen Mülleimer befinden sich Stiefel, die fast folgerichtig zu einer an einem Ast hängenden Pfanne überleiten, die wiederum über zwei an einer Wäscheleine hängenden Kleidungstücke zu einer Kopfbedeckung führen, und so ein beinahe vollständiges Porträt des abwesenden Bewohners erstellen. Gleichzeitig führt eine weitere Spur von dem kreisrunden Boden der silbernen Pfanne zu dem runden Deckel einer im Vordergrund diagonal hängenden blauen Mülltonne, die malerisch in eine - das ganze Bild erfassende - Rotation versetzt ist, und zugleich auf eine weitere Mülltonne im linken Bildfeld und einen weißen runden Gasbrenner verweist. Die Qualität dieser Arbeit besteht nicht zuletzt darin, dass sie keine aufgesetzte Metaphorik oder bemühte Symbolik benötigt, um ihr Thema der Fragilität von Raum und Existenz und der sich dabei momenthaft einstellenden Balance glaubwürdig zu formulieren. Sie konzentriert sich vielmehr zu Recht darauf, dass sie - im Wissen dass jedes Bild nur Oberflächen zeigen kann - diese Oberfläche so zeigt, dass sie zu ihrer eigenen abgründigen Tiefe wird. Und sie unterstützt und kommentiert diese paradoxe Oberflächentiefe durch eine Malerei, die jegliche klobige Kompaktheit vermeidet, sondern als offen vorgeführtes Spielfeld unterschiedlichster malerischer Zeichen und Haltungen zwischen dem formalen Vorzeigen des malerischen Instrumentariums und seiner Aufladung mit einer komplexen enigmatischen Inhaltlichkeit oszilliert, und damit die grundsätzliche Ambivalenz-Strategie des Werks unterstreicht.
AUF FREIEM FELD DIE SPANNUNG HALTEN
Thomas Janzen
Dass alles auch anders sein könnte, ist ein Eindruck, der sich in Anbetracht der Malerei von Wolfgang Hambrecht unwillkürlich und immer wieder einstellt. Überblicken wir Hambrechts Schaffen der letzten Jahre, so wird sehr bald offenbar, dass der Maler über ein sich stetig erweiterndes Repertoire solitärer malerischer Formen und Gesten verfügt, das, gemessen an den Avantgarden des 20. Jahrhunderts, Gegensätze in sich vereint: die freie Gebärde, die mit dem Index der Subjektivität versehen ist, und die geometrische Konstruktion, die vielfach mit mathematischer Objektivität gleichgesetzt wurde. Gestische Linien- und Farbknäule, Ellipsen und eckige Geometrien, längsgerichtete Flächen, deren Enden gerundet sind, amorphe Strukturen, gebildet aus einfachen, geraden Schraffuren – sie und manche andere sind die Protagonisten der Gemälde Wolfgang Hambrechts, und sie sind es in besonderem Maße, weil sie jeder Zeit auftreten können, in neuer Konstellation und in veränderter aber doch wiedererkennbarer Gestalt. Das Bild ist zuallererst die plane Bühne ihrer Auftritte.
Dieser Grund, auf dem die malerischen Typen, die Hambrecht selbst auch „malerische Zeichen“ nennt, aufeinandertreffen, ist unbestimmt – eine Fläche, die zwar aufgrund ihrer mitunter schrillen Farbigkeit Signalwirkung besitzen kann, die aber keine Örtlichkeit definiert, außer derjenigen des Bildes, das heißt hier der Malfläche selbst. Sie fungiert als ein weitgehend neutraler Screen, auf dem die Formelemente sich selbst überlassen bleiben. Betrachtet man die farbige Grundierung, mag man sie konkret nennen im Sinne monochromer Farbmalerei; aus dem Blickwinkel der solitären Elemente, die auf ihr agieren, ist sie abstrakt. Eine vergleichbare Ambivalenz kennzeichnet aber auch die Akteure. Denn sind sie einzeln betrachtet unmittelbarer, konkreter malerischer Vollzug, sei es in gestischer, sei es in geometrischer Formulierung, so werden sie doch im Blick auf das jeweilige Bildganze aufgeführt und entwickeln gerade insofern figurative Dimensionen. Im übertragen Sinne sind sie Spieler, die das Rechteck der Leinwand als ein Spielfeld der Malerei in Erscheinung treten lassen.
Dennoch zielt Hambrechts Malerei nicht lediglich auf die Vorführung stilistischer Gegensätze und Konventionen von Malerei ab. Malereidiskurs und Appropriation gelten ihr eher als historische Bedingung, sich auf ein bestimmtes theoretisches Niveau zu begeben, sowie als zeitgenössische Möglichkeit, aus einem unerschöpflichen Fundus der Kunst, des Designs, des Alltags frei wählen zu können. So tauchen in Hambrechts Bildern beispielsweise verschiedentlich umrandete Formen auf, die an Schaltflächen oder blinde Spiegel erinnern können, während sie zugleich auf chromatische Farbverläufe anspielen, wie sie insbesondere aus der Malerei der fünfziger und sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts bekannt sind. Ein roter, wellenartiger Pinselschwung besitzt Ähnlichkeiten mit dem legendären Pantonstuhl, während weitere Elemente an Schaltkreise, Warencodes, Testbilder oder Wassertropfen angelehnt zu sein scheinen. Dabei handelt es sich freilich nicht um eindeutige Konnotationen, die in eine syntaktische Ordnung zu bringen wären. Vielmehr fungiert diese vage Mimesis als Stimulus für Malerei.
Den Anspruch, gänzlich neue Formen und Sichtbarkeiten erzeugen zu wollen, werden wir in Hambrechts Bildern daher vergeblich suchen. Es ist hingegen gerade ein Ausdruck konzeptioneller Souveränität, in dem Bewusstsein, dass genannter Anspruch seine historische Grundlage verloren haben könnte, originäre und originelle Malerei zu betreiben. Und eben dies gelingt Wolfgang Hambrecht, indem er mittels einer malerischen Kombinatorik Bildsituationen herstellt, die auf keine höhere Ordnung verweisen und insofern auch, wie es Ulrich Loock im Katalog Wolfgang Hambrecht (2001) formuliert hat, keine notwendigen Einheiten bilden. Es sind Situationen, die wie zufällig entstanden sein und in jedem Moment wieder auseinanderfallen könnten, die aber genau auf diese Offenheit hin konzipiert worden sind und in eben dieser Offenheit Qualitäten wie Spannung und Präzision aufrecht erhalten, um sie zugleich mit Witz und Ironie anzureichern.
So kann von Situationen angesichts seiner Bilder allein deshalb gesprochen werden, weil zwischen den einzelnen Bildelementen in ihrer Disparatheit Bezüge entstehen. Selten sind sie so offensichtlich, wie in dem großformatigen Gemälde Institute for Porous Media von 2001. Denn wie in einem Zwiegespräch stehen sich in dieser Arbeit ein rechtwicklig-geometrisches und ein organisch-geschwungenes Element - mit überaus ähnlicher Grundstruktur - über die Diagonale des Bilde hinweg gegenüber. Wie hier, so bleibt in vielen Arbeiten Hambrechts die Bildmitte frei, um von den virtuellen Energien des Personals aufgeladen zu werden. So etwa auch in Dorsia aus dem Jahre 2000 (Abb.). Ihr Klang ist kühler als derjenige des zuvor genannten Bildes. Dies liegt zum einen an der türkisgrünen Grundierung. Doch kühl ist ebenfalls das Beieinander der Formelemente, wobei auch zwischen ihnen zweifellos Relationen sichtbar werden: zwischen dem dunklen, schlangenartig emporwachsenden Pinselstrich und der fleischfarbenen, von der oberen Kante in die Mitte des Bildes zeigenden Farbbahn ebenso wie zwischen den linear-geometrischen Elementen. Die Mitspieler scheinen in einer eigentümlichen, indifferenten Schwebe zu verharren. Jedenfalls ist es kaum zu bestimmen, ob sie sich aufeinander zu bewegen, oder auseinander driften. Die Spannung wird dabei vor allem über die Farbe gehalten. Ihre Dissonanzen, die sich nicht im Kontrast allein, etwa von fleischfarben zu türkis, sondern auch in der Verwandtschaft, insbesondere der Grün-, Türkis- und Blautöne, ausdrücken, verleihen dem Bild paradoxerweise seine Stimmigkeit.
Bei aller Unbestimmtheit dessen, was geschieht, kündigen die Bilder eine Metaphorik der Beziehungen an. Nähe und Distanz, Gemeinschaft und Vereinzelung: Hambrechts Malerei scheint von solchen Relationen durchdrungen, wobei deren Artikulation, gerade dort wo sie konkret wird, ausnahmslos ironische Züge aufweist. So sehen wir etwa in dem Gemälde Apotrop aus dem Jahre 2000, wie ein nervös verschlungener Linienverlauf in eine andere, noch feuchte Farbform hineingemalt wird und deren Blauton annimmt. Es ist dies eine Anverwandlung, der die Rahmenbedingungen fehlen, um in eine glaubwürdige metaphorische Lesart übersetzt zu werden. Die konkrete Malhandlung erscheint bewusst auf die formale Bildebene zurückgesetzt; dem Versuch gegenüber, ihrer Ausdrucksqualität auf die Spur zu kommen, bleibt sie stumm. Hambrechts zeichenhaftes Formenrepertoire verweigert gleichsam die Aussage, und das Fehlen jedweder Syntax lässt auch die angesprochenen Verhältnisse von Nähe und Distanz ins Leere laufen. Deshalb bringen Hambrechts Gemälde ihren Betrachter in eine gewisse Bredouille. Denn nicht nur ästhetische Einheit und höhere Ordnung sind in ihnen aufgegeben, auch auf der partikularen Ebene sind die einzelnen malerischen Elemente einer vielleicht noch grundlegenderen Dissoziation unterworfen. Konkret gesagt: Ihr Zeichencharakter hindert uns daran, das Bild als reine, ungegenständliche Malerei zu betrachten, während er gleichzeitig nicht ausdrücklich genug ist, um tatsächlich etwas zu bedeuten. Indem Wolfgang Hambrechts Malerei weder eindeutig zur rein malerischen noch zur sprachlichen Seite ausschlägt, verharren die Bilder unentschieden zwischen den Systemen. Sie beharren auf einer Vorausdrücklichkeit, auf einer gewissen Rohheit sogar. Wie sollen sie wahrgenommen, wie gelesen werden? Nicht zuletzt aus dieser Unentscheidbarkeit erwächst ihre innere Spannung, die sie auf dem freien Feld der Malerei behaupten.
FREIHEIT AUF VERMESSENEM TERRAIN
Thomas Janzen
Exakte Geraden und Winkel, sanfte und wilde Kurven, Schlingerkurse, zielstrebige Auf- und Abstiege: Der Pinselstrich ist Protagonist in den Werken des Düsseldorfer Malers Wolfgang Hambrecht. Zwischen Verdichtung und Auflichtung, Überlagerung und Vereinzelung offenbart er sein multiples Wesen. Organisches, vegetabiles Wachstum und konstruktiver Aufbau sind ihm gleichermaßen bekannt. Er kann sich treiben lassen oder einem festen Plan folgen, er kann sich selbst ausreichen oder einem anderen Zweck dienen, zum Beispiel der Darstellung eines Gegenstandes. Die Art, wie sich im OEuvre Hambrechts die Schwerpunkte zwischen Abstraktion und Gegenstand verlagern, entspricht freilich keiner linearen Entwicklung, weder im Sinne einer Überwindung des Gegenstandes noch einer Rückbesinnung auf einen äußeren, wiederzuerkennenden Referenten. Vielmehr gleicht seine OEuvreentwicklung einem fortwährenden Spiel – einem Abenteuer, in dem der Pinselstrich verschiedene Identitäten annimmt.
In einer größeren Zahl von Gemälden, die seit Ende der 1990er Jahre entstehen, sind die Aspekte gestischer Freiheit und geometrischer, konstruktiver Strenge der Linie bzw. des Pinselstrichs, in eins geblendet. So stellt sich angesichts von Gemälden wie Edfu, Dorsia oder Dakhla, die alle im Jahre 2000 entstanden sind, alsbald der Eindruck ein, dass die freien Linienverläufe ein hohes Maß an Planung und Kalkül aufweisen, sowie im Gegenzug die geometrischen Formen und Anordnungen der Linien von Unregelmäßigkeiten und malerischen Freiheiten bestimmt werden. Der „freie“ malerische Gestus, dem im Kontext der expressionistischen Malerei per se Qualitäten wie Emotionalität und subjektiver Ausdruck attestiert wurden, verfestigt sich in diesen Gemälden, wie es der Maler selbst einmal benannt hat, zum „malerischen Zeichen“. Vor meist einfarbigen Hintergründen erscheinen sie als solitäre Bildelemente, die sich wie die Figuren in einem Computerspiel auf einer festgelegten Fläche bewegen. Eine schwarze, in sich verschlungene Pinselspur kann dabei einem geometrischen Linienverlauf korrespondierend und vollkommen gleichwertig, aber auch gleich gültig gegenüberstehen. Die Elemente mögen sich berühren oder überlagern, sich wie Magnete abstoßen oder anziehen; was sie auf der Fläche formulieren, sind malerische Situationen und kontingente Ordnungen ohne übergreifendes System. Die Malerei ist physisch spürbar und in diesem Sinne konkret. Als Ansammlung selbstreferenzieller Zeichenelemente wird sie zugleich zur Darstellerin ihrer selbst. Für sich genommen mag man einen gestischen Linienverlauf als bloße malerische Bewegung verstehen; als begrenztes Bildzeichen oder gestisches Versatzstück formuliert es jedoch das Paradox einer Narration ohne Inhalt, einer entleerten Mimesis.
Etwa zehn Jahre zuvor, Anfang der 1990er Jahre, führt der Pinselstrich in Hambrechts Gemälden ein scheinbar wildes und zügelloses Leben. Vielfarbige, gestische Pinselschwünge suggerieren ein Höchstmaß an Bewegung und komplexer Überlagerung. Sieht man die Bilder dieser Phase im Zusammenhang, so gleichen sie alsbald einer Untersuchungsreihe zu den formalen Verhältnissen von Dynamik und Statik, Ganzes und Ausschnitt, Verdichtung und Öffnung. Die vermeintlichen Eruptionen sind dabei eher Zustandsprotokolle, in denen der Maler den Vollzug des Malens im Bild beobachtet. Mitunter ist es, als zoomte er sich so nah an die Linien heran, dass sie wie die Fasern in einer mikroskopischen Studie ihren Zusammenhang verlieren und in einem unbestimmten Raum zu schweben scheinen. Dann richtet sich der Blick wieder auf eine große Anzahl von Bewegungsspuren, die sich in der imaginären Tiefe des Bildes unendlich fortsetzen könnten. Hambrecht testet dabei fast beiläufig die Expression der malerischen Geste, wenn er ihre Schnelligkeiten variiert, ihre Richtungen abrupt wechselt oder Kollisionen verursacht. Er betrachtet die Malerei nicht als Mittel eigener emotionaler Entladung, sondern wahrt die Distanz des Analytikers. Mehr noch: Was Hambrecht fortwährend betreibt, ist eine skeptische Phänomenologie der Malerei selbst.
Vor diesem Hintergrund ist es interessant zwei frühe Werkgruppen, die noch während des Studiums an der Düsseldorfer Kunstakademie entstanden sind, in die Betrachtung mit einzubeziehen. So experimentiert Hambrecht Mitte der 1980er Jahre eine Zeit lang mit dem Industriematerial Formica (Resopal). Es entstehen einige kistenartige Objekte, die auf ihren Innenseiten klecksartige, bronzefarbene Strukturen auf Schwarz zeigen. Es handelt sich hierbei gewissermaßen um gefundene Malerei, der keinerlei individueller Ausdruckswille unterstellt werden kann. Stege aus Pressspan, die als Abstandhalter zwischen den Innen- und Außenwänden eingefügt sind, betonen den konstruierten, modellhaften Charakter. Stehen diese Objekte einerseits unter dem Einfluss der reduktionistischen Ansätze eines Donald Judd oder Richard Artschwager, so zeigen sie andererseits deutlich die Spuren ihrer Herstellung. Da die Außenseiten nicht weiter aufbereitet sind, besitzen sie noch einen rohen, bewusst unperfekten, pragmatischen und alltäglichen Charakter. Die Innenseiten wenden den Eindruck ins Optische, jedenfalls erscheinen die Schlieren und Klecksstrukturen auf den einzelnen Platten durch Spiegelungen im schwarzen Resopal verdichtet. Wir haben es insofern mit Sehobjekten zu tun, die in ihrem Inneren gewissermaßen eine abstrakte Illusion vermitteln. Wenige Monate später entstehen einige großformatige Gemälde, die das Problem der Abstraktion von entgegengesetzter Seite angehen. Hambrecht verleiht der Farbe körperliche Wucht. Er lässt sie nicht nur expressiv strömen, er schreibt ihr zugleich einen latent fleischlichen Charakter ein. Tatsächlich geht er von menschlichen Körperteilen aus, die er stark verfremdet und rein malerisch auslegt. Die Farbe nimmt wie von selbst, ohne dass man in den Bildern Anatomien erkennen muss, körperliche Gestalt an. So treten beispielsweise breite, stammartige Formkonfigurationen vor einem schwarz-grauen Hintergrund plastisch und voluminös hervor. Die malerische Dekonstruktion des menschlichen Körpers ist hier wiederum weniger als dramatischer Ausdruck innerer Zerrissenheit oder physischer Verletzlichkeit zu verstehen, denn als Zustandsbestimmung der Malerei zwischen Abstraktion und Figur.
Die Frage, wie Bilder Bedeutung generieren – in Anlehnung an eine äußere Realität ebenso wie in Bezug auf die formalen Grundlagen der Malerei –, markiert bis heute den eigentlichen Bild- und Untersuchungsgegenstand im Schaffen Hambrechts. In dem jüngeren Gemälde Wired (2008) ist die doppelte Semantik des Pinselstrichs als Selbstdarstellung und Verbildlichung eines gegenständlichen Eindrucks deutlich erkennbar. Der Maler gewährt uns den Blick in eine Konstruktionshalle für Flugzeuge. Ein im Bau befindliches Kleinflugzeug besetzt den vorderen Teil eines Raumes, der in seiner perspektivischen Fluchtung eine enorme Sogwirkung entfaltet. Ist der Bildraum mittels der traditionellen Fluchtpunktperspektive konstruiert, so steigert, hemmt, beschleunigt und verlangsamt Hambrecht die Dynamik des Tiefensogs durch eine entsprechende Pinselführung in parallelen diagonalen und senkrechten Bahnen. Der weiße, von hinten durchscheinende Bildgrund schafft eine gleichsam luzide Atmosphäre, die die dingliche Präsenz des Motivs zurückdrängt. Obwohl das Bild nicht den geringsten Zweifel an seiner Darstellung aufkommen lässt, so könnte es dennoch jederzeit ins Ungegenständliche umschlagen – wenn sich beispielsweise ein Kabel als Pinselspur verflüchtigt oder Boden- und Wandflächen malerisch aufgelöst werden. Das unfertige, noch aus einzelnen Teilen bestehende Flugzeug, besitzt rein anschaulich bereits etwas von seiner späteren Bestimmung, die Schwerkraft zu überwinden. Der fragmentarische Zustand des Motivs gewinnt bei Hambrecht malerische Form, wobei vor allem die Ambivalenzen der Malerei – ihre Konnotationen, Freiheiten und Brüche – in den Fokus rücken.